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Südstädter bangen der Terrassensaison entgegen

Sie schielen nach Bauträgergeld für Deckel auf stinkende Klärbecken / FWG und Munck geben ihnen ein Forum

Im Streit um die Geruchsbelästigung in der Hochheimer Südstadt ist kein Ende in Sicht. Die Gerichtsverfahren ruhen, die politischen Fronten bleiben starr und die Anwohner befürchten, dass auch in der nächsten Gartensaison wieder üble Gerüche aus den Klärbecken wehen.

Von Annette Friauf

HOCHHEIM. "Stinkt es nun oder stinkt es nicht?", fragen die Freien Wähler und laden für nächsten Dienstag zu einer öffentlichen Diskussion über die Geruchsbelästigung in der Südstadt ein. Betroffene Bewohner sollen wieder einmal ihre Bedenken vortragen können, meint FWG-Fraktionschef Matthias Leichner. Er wünscht sich, dass viele Bürger der Hochstadt bei diesem "sehr emotionalisierten Thema" sachlich mitdiskutieren. "Die Kunst ist, eine Brücke zu bauen", sagt Leichner.

Er spricht von einer hohen Kunst. Denn obgleich in Hochheim seit Jahren um üble Gerüche, Gutachten und Geld für eine Abdeckung der Klärbecken gestritten wird, scheinen die Fronten derzeit verhärteter denn je. Wer neben der Kläranlage ein Reihenhaus kauft, braucht sich nicht zu wundern, dass es stinkt, sagen schlicht die einen und verweigern ihre Solidarität. Diese Meinung vertreten die größeren Parteien im Stadtparlament. "Es ist nicht gerechtfertigt, auch nur einen Euro auszugeben", sagt Egbert Opheys, Fraktionschef der CDU. Würden alle zur Kasse gebeten, befürchte er einen "Bürgeraufstand".

Viele Südstädter, die sich über den Tisch gezogen fühlen, pochen andererseits auf ihr Recht auf Lebensqualität. Schließlich hatte ein Gutachten davor gewarnt, so nah an den Klärbecken eine Siedlung auszuweisen. Die Anwohner haben Bürgermeisterin Angelika Munck (FWG) hinter sich. Das Versprechen, einen Runden Tisch zu schaffen, hat sie bislang noch nicht eingelöst. Attackiert wird Munck momentan von einzelnen politischen Gegnern, die der Auffassung sind, dass eine Mediation schädlich sei, so lange Gerichtsverfahren schweben. Die Bürgermeisterin sieht das anders: "Beim Thema Flughafen liefen auch Klagen und Mediation parallel." Die Geduld von allen wird auf eine harte Probe gestellt. Ende dieses Monats, hieß es, sollten Resultate, wenigstens Zwischenergebnisse eines Beweissicherungsverfahrens vorliegen, das beim Landgericht Wiesbaden anhängig ist. Die Bauträgergesellschaft Wilma hatte es, unterstützt von der Stadt, im Oktober 2001 angestrengt. Gutachter sollen zu unterschiedlichen Zeiten und Wetterlagen ermitteln, ob und wie stark es in der Südstadt stinkt. Der Auftrag ging an Fachleute der Technischen Universität Darmstadt. Die Anwohner bezweifeln, dass diese aufwendige Untersuchung überhaupt begonnen worden ist. "Wir haben hier noch keine Studenten gesehen", sagt Hans-Peter Maier vom Verein "Lebensqualität in der Südstadt". Belegt sehen die Anwohner ihre Annahme durch eine Antwort des Sachverständigen von der Darmstädter TU. Dieser hatte Ende Oktober auf Anfrage der Anwälte erklärt, er warte seit fünf Monaten auf Unterlagen vom Wiesbadener Landgericht und könne nicht voraussehen, wann mit dem Gutachten zu rechnen sei. Ein Sprecher des Landgerichts erklärte gestern auf Anfrage der FR, die Akte liege beim Sachverständigen.

Auch eine andere Rechtssache, die das Verwaltungsgericht Frankfurt bearbeitet, ruht offenbar. Dort klagen vier Anwohner gegen die Stadt auf "Unterlassung der unzumutbaren Geruchsbelastung", sprich lebenswerte Zustände. Ein Termin ist nicht in Sicht. Die zuständige Richterin hatte bereits im April "derzeit keine Veranlassung für eine Bearbeitung" gesehen, weil sich die frisch gewählte Bürgermeisterin "für geruchsmindernde Maßnahmen an der Kläranlage einsetzen" wolle. Dies habe die Richterin der Presse entnommen. Das Gericht ist nach Auskunft eines Sprechers mit älteren Verfahren beschäftigt, darunter vielen Sozialhilfeverfahren. Es bestehe kein Anlass, die Hochheimer Klage vorzuziehen, erfuhr die FR.

Ungeachtet dessen misst der mittlerweile 89 Mitglieder zählende Verein für Lebensqualität seinerseits den Gestank. Als Geruchsstunde gilt laut staatlichem Umweltamt, "wenn es mehr als sechs Minuten stinkt", weiß Jürgen Schnorr. Seiner Statistik nach überschritt die Belastung im Jahr 2002 den gesetzlich erlaubten Wert "um 185 Prozent". Erkennbar sei, dass der 175 Meter lange und vier Meter hohe Geruchsschutzwall "nichts bringt". Solch ein technisches Kuriosum gebe es offenbar nur in Hochheim am Main. Die Internet-Suchmaschine fand den Begriff ein einziges Mal. Der Link führte zu den Südstädtern selbst.

Zusätzlich sollen Bäume üble Gerüche fern halten; auf dem Schutzwall wollen sie aber nicht recht wachsen. Nach dreimaligem Nachpflanzen seien Wurzeln erneut vertrocknet, beklagen die Anwohner, was bei der Stahlmatten-Konstruktion kein Wunder sei. Mit Blick auf die beginnende Terrassen-Saison drängen die Südstädter auf eine praktikable Lösung. Eine Basis bildeten 175 000 Euro, die die Bauträgerin Wilma für die Pflege des Walls noch an die Stadt zu zahlen hat. "Damit könnte man etwas Sinnvolles machen", sagen die Anwohner. Klärbecken abdecken etwa.

• Die Informationsveranstaltung der FWG am Dienstag, 11. März, beginnt um 20 Uhr im Restaurant zur Turnhalle in der Jahnstraße 2.

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Dokument erstellt am 06.03.2003 um 00:07:43 Uhr

Erscheinungsdatum 06.03.2003 | Ausgabe: R5 | Seite: 40